Ja, ich bin mir dessen durchaus bewusst, dass es jetzt schon wieder ein Weilchen her ist, dass ich in Sachen „Aromen im Glas 2.0“ von mir habe hören lassen. Bisher hatte ich euch im Rahmen dieser Serie die Aromen des Rosato, des Chianti Classico, der Riserva und der Gran Selzione vorgestellt – immer wundervoll treffend in Szene gesetzt von der Fotografin Eva-Maria Mrazek. Heute, wo wir uns mitten in der Adventszeit und damit beinahe schon wieder am Ende des Jahres befinden, möchte ich euch den letzten meiner Weine aus der „Aromen im Glas Serie“ vorstellen: Nämlich niemand Geringeren als seine Heiligkeit, den Vin Santo! Und auch dieses Mal möchte ich euch mit einem geschmackvollen Foto und meinen Erklärungen ein Gefühl für die Aromen des Vin Santo und einen kleinen Vorgeschmack auf diesen speziellen Wein mit auf den Weg geben.
Vin Santo: Heiliger Wein? Oder doch griechischer Wein?
Da der Vin Santo ein derart spezieller Wein ist, möchte ich zuerst ein paar Worte über die Herkunft und die Entstehung dieses edlen Tropfens verlieren. Obwohl der Name des Süßweins die Vermutung nahelegt, er könnte etwas mit einem „heiligen Wein“ zu tun haben, ist diese Annahme grundlegend falsch. Denn die Bezeichnung dieser süßen Versuchung leitet sich von der griechischen Insel Santorin ab. Dort befand sich in der Antike der bekannteste Ursprungsort von Süßweinen. Kleine Anmerkung am Rande: Auch heute wird dort noch ein Wein ähnlichen Namens („Santorini“) produziert. Qualitativ hochwertige und gute Süßweine gibt es natürlich auch in Österreich und Deutschland, aber vor allem auch in bestimmten Regionen Italiens – zum Beispiel im Chianti. Der maßgebliche Unterschied zwischen italienischem Vin Santo und quasi dem Rest der Süßwein-Welt liegt darin, dass die Trauben anderswo viel länger am Rebstock bleiben und dort trocknen, als beispielsweise die Süßwein-Trauben im Chianti. Denn die Trauben für den Vin Santo – meist handelt es sich dabei um Weißwein-Trauben, in eher seltenen Fällen um Rotweinsorten – werden geerntet und zum Trocknen aufgehängt. Und zwar für einen Zeitraum von ca. zwei bis drei Monaten in einem gut durchlüfteten Raum, der meistens unter dem Dach liegt. Sinn und Zweck davon ist es, dass auf den Trauben die Edelfäule – die sogenannte Botrytis cinerea– zustande kommt. Genau aus diesem Grund werden die Trauben täglich kontrolliert und einzelne Beeren, die den hohen Anforderungen nicht entsprechen, werden entfernt. Meistens ist es dann gegen Mitte bzw. Ende Dezember – oft kurz vor Weihnachten – so weit: Die Trauben werden gepresst.
Was lange währt, wird unendlich gut: 10 Jahre von der Traube zum Glas
Das Verhältnis von Trauben und Endprodukt möchte ich euch am Beispiel des Weinguts Rocca di Montegrossi – einer „meiner“ Weinproduzenten, der auch einen himmlischen Vin Santo herstellt – verdeutlichen: Im Jahr 2008 wurden hier beispielsweise mehrere tausend Kilo Trauben für die Produktion von Süßwein geerntet. Nach dem Trocknungsvorgang wurden daraus 1.500 Liter Most gepresst. Als Faustregel gilt, dass nur rund ein Siebtel der geernteten Traubenmenge als Traubenmost zurückleibt. Für die weitere Vinifikation und Reife gelangte der kostbare Saft für acht Jahre in sogenannte Caratelli. Das sind kleine Fässer, von denen auf Rocca di Montegrossi jedes einzelne aus den drei verschiedenen Holzarten Eiche, Maulbeere und Kirsche hergestellt ist. Faktum ist, dass während dieser langen Lagerzeit ein Teil des Weins durch das Holz verdunstet. Und von da her riecht es unglaublich in der Vinsantaia von Rocca di Montegrossi. Von der Ernte des Jahres 2008 wurden auf Rocca di Montegrossi im Endeffekt 2.470 Flaschen Süßwein zu je zu 0,375 Literabgefüllt. Sprich von mehreren tausend Kilo Trauben bzw. von 1.500 Litern Most sind im Endeffekt knapp 930 Liter Süßwein übriggeblieben. Übrigens: Bei Rocca di Montegrossi lagert der Süßwein dann noch mindestens zwei weitere Jahre in der Flasche. Sprich: Erst zehn laaaaaange Jahre nach der Ernte der Trauben, kann man den ersten Schluck Süßwein genießen.
Für die Ewigkeit gemacht…
Der Alkoholwert des Vin Santo liegt beispielsweise beim Jahrgang 2008 von Von Rocca di Montegrossi bei 13 Prozent – das ist so ähnlich wie bei einem normalen Wein – allerdings ist der Säuregehalt etwas höher. Dafür liegt der Restzuckergehalt bei ca. 370 Gramm pro Liter. Nur so zum Vergleich: Bei einem trockenen Wein, so wie bei einem Chianti Classico, darf der Restzucker bei maximal 8 Gramm pro Liter liegen. Dabei handelt es sich einzig und allein um den Zucker, der aus den Trauben zurückbleibt. Säure und Zucker stehen aber in einer guten Balance, was dazu führt, dass der Vin Santo zwar süß, aber keinesfalls pappsüß schmeckt. Einen weiteren Vorteil, den der hohe Restzuckergehalt mit sich bringt, ist die Tatsache, dass der Vin Santo beinahe ewig haltbar ist – 30 Jahre auf jeden Fall. Und man muss die Flasche – auch wenn sie relativ klein ist – nicht auf einen Sitz austrinken. Gut verkorkt hält sie im Kühlschrank locker einen Monat. Wenn man die Flasche nicht vorher ohnehin schon ausgetrunken hat…
Eine Aromen-Explosion im Glas
Die Frage, die sich nun stellt, ist, welche Aromen sich nun hinter der Süße dieser bernsteinfarbenen Flüssigkeit verbergen? Schon in der Nase eröffnet sich ein breites Spektrum an Aromen: Angefangen bei getrockneten Marillen und Feigen. Eines der dominantesten Aromen, das sich im Süßwein findet, ist der Honig. Darüber hinaus verleihen die Geschmäcker von Walnüssen oder Mandeln, aber auch von Karamell und Kaffee dem Vin Santo seine Besonderheit. Darüber hinaus mischt im Süßwein ab und zu auch gern ein Hauch von Orangen- oder Zitronenschalen mit. Sehr speziell: Die Aromen, die an das Vertrocknen erinnern – an den Duft von Stroh. Dieses ist übrigens auch am Aromen im Glas 2.0-Foto zu sehen. Prall gefüllt und dicht ist dieses Glas, sodass schon fast nichts mehr Platz hat. Genauso, wie ein Vin Santo eben ist: Dicht und prall, wohlig warm und süß. Aber eben nicht zu süß, sondern ausgewogen, und mit einem endlos anmutenden Finish. Wenn man sich einmal etwas Zeit nimmt, den Wein im Glas schwenkt, riecht, einen Schluck trinkt, den Aromen nachspürt, sich dann ein bisschen Zeit lässt und das Ganze ein paar Mal wiederholt, wird man bei jedem Mal ein neues Aroma erriechen, erschmecken, erspüren… Ein Wein zum Meditieren, wie Marco Ricasoli Firidolfi, Inhaber von Rocca di Montegrossi gerne sagt.
Dessertwein oder nicht – das ist hier die Frage!
Der süße Vin Santo wird gerne als Dessertwein bezeichnet. Dabei ist der Vin Santo ein Wein, den man zu den verschiedensten Dingen trinken kann: Ich selbst bin zum Beispiel nicht unbedingt ein Freund davon, den Süßwein zu süßen Speisen zu trinken. Es sei denn, das Dessert ist auf den Süßwein abgestimmt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Glas Vin Santo zu einem Stück toskanischer Apfeltorte, die mit Rosinen & Co. etwas säuerlicher daherkommt – das kann ganz wunderbar matchen. Ganz klassisch passt aber ein Glas Vin Santo zu einer herzhaften Gänseleber. Und ganz ehrlich: Wenn man mal zwischendurch Lust auf was Süßes hat – warum nicht einfach ein kleines Gläschen Vin Santo nippen? Und weil gerade Adventszeit ist: Ein (nicht zu süßer) Lebkuchen und ein Glas Vin Santo dazu – und Weihnachten kann kommen!
Ein No-Go: Cantuccini in Vin Santo
Zum Abschluss meines Blogbeitrags über den himmlischen Vin Santo ist es mir noch ein persönliches Anliegen, ein massives kulinarisches Missverständnis aus der Welt zu schaffen: Marco von Rocca di Montegrossi würde jemals ein Cantuccini – also eines dieser harten Mandelkekse – in Vin Santo tunken. Niemals! Never ever! Mai e poi mai! Ich selbst habe keine Ahnung, wo diese vermeintlich, „italienische“ Verzehrweise herkommt.