Wer meint, dass die Winzer im Sommer die Beine hochlegen, ein Gläschen Chianti Classico schlürfen und den Trauben beim Reifen zuschauen, der hat sich ordentlich geschnitten. Denn im Weinberg gibt es auch in den Sommermonaten jede Menge zu tun. Viele, viele kleine Handgriffe werden von vielen, vielen fleißigen Händen erledigt. Eine dieser Tätigkeiten ist die sogenannte „grüne Ernte“ oder auch „grüne Lese“. Wobei man heutzutage – zumindest im Chianti Classico – eigentlich nicht mehr von der grünen Ernte, sondern vielmehr von der grünen Pflege sprechen kann.
Was ist die grüne Ernte?
Aber fangen wir doch – wie immer – von vorne an: Bei der sogenannten grünen Ernte entfernen die Winzer grüne – also noch unreife – Trauben – vom Rebstock. Dahinter steckt im Grunde genommen eine sehr einfache Überlegung: Hat ein Rebstock (zu) viele Weintrauben angesetzt, muss er seine Kraft für das Reifen auf die vielen, vielen Trauben aufteilen. Entfernt man allerdings die Trauben, die „zu viel“ sind, kann der Rebstock seine Kraft auf die optimale Reifung der besten Trauben konzentrieren.
Hektarertragsbeschränkung im Qualitätsweinbau
Was dieses wunderbare Wort „Hektarertragsbeschränkung“ bedeutet? Ganz einfach: Um die Qualität der Trauben sicherzustellen, wurde festgelegt, dass pro Hektar nur eine bestimmte Menge Trauben geerntet werden darf. Dieser Wert differiert je nach Region, Gemeinde oder Anbaugebiet – man rechnet aber grundsätzlich im Qualitätsweinbau pro Rebstock mit einem Ertrag von einem bis eineinhalb Kilo Trauben. Für Chianti Classico ist eine Beschränkung auf maximal 7.500 Kilo Trauben pro Hektar festgelegt. Auch deshalb griff man zum Mittel der grünen Ernte. Allerdings wird diese maximale Ertragsmenge heute kaum mehr von einem Winzer erreicht, sollte aber wie gesagt ursprünglich der Qualitätssteigerung der Weine dienen.
Warum die grüne Ernte heute nicht mehr wie früher ist.
Früher wurden im Zuge der grünen Ernte aber nicht nur die Trauben reduziert, sondern auch die Blätter in dem Bereich, in dem die Trauben wachsen – in der sogenannten Traubenzone. Die Idee dahinter war es, den Trauben noch mehr Sonne zu verschaffen, um die Zuckerproduktion der Trauben zu steigern. Die klimatischen Veränderungen der letzten Jahre haben hier allerdings zu einem Umdenken geführt: Da die Sommer von Jahr zu Jahr heißer werden, die Sonne immer aggressiver und intensiver wird, ist man in den letzten Jahren vermehrt dazu übergegangen, die Blätter in der Traubenzone nicht zu entfernen. Denn sie spenden den Trauben Schutz und Schatten, die Zuckerproduktion in den Trauben wird zurückgefahren.
Faktum am Rande: Im Wein-Forschungszentrum der Hochschule Geisenheim wurden unter Sonneneinstrahlung in dunklen Beeren Temperaturen von bis zu 80 Grad gemessen! Die schattenspendenden Blätter sorgen also dafür, dass der Zuckergehalt der Trauben nicht zu hoch wird. Der Zucker wird ja im Zuge der Gärung in Alkohol umgewandelt. Und um es vereinfacht zu sagen: Je höher der Zuckergehalt der Trauben, desto höher der Alkoholgehalt der fertigen Weine. Und auch das ist problematisch, denn Weine mit bis zu 15,5 % Alkoholgehalt sind eher weniger gefragt. Werden die Trauben außerdem während der Reifephase zu warm, spricht man davon, dass die Weine „marmeladige Aromen“ entwickeln. Und das möchte man auch vermeiden. Denn der europäische Gaumen bevorzugt frische und klare Weine.
Grüne Pflege: Reihe für Reihe, Rebe für Rebe, Traube für Traube…
Genau aus diesen Gründen tendieren Winzer heute dazu, bei der grünen Ernte eher zurückhaltend zu sein – sowohl, was die Blätter als auch, was die Trauben betrifft. Darüber hinaus findet die grüne Ernte nicht mehr wie noch vor einigen Jahren Ende Juli bis Anfang August statt, sondern man lässt sich Zeit und rückt damit immer weiter in Richtung des eigentlichen Erntezeitpunkts. Auch ganz kurz vor der Ernte werden noch einmal ein paar Trauben weggenommen. Natürlich gehen die Winzer jetzt durch die Weinberge und kontrollieren, ob sich Trauben im Drahtgerüst verheddert haben, ob zu kleine Trauben auf Trieben sitzen, die keinen Ertrag bringen werden, oder ob Traubenansätze zu locker sitzen, die in weiterer Folge womöglich anfällig für Krankheiten sind. Das alles bereinigen die Winzer und ihre gut geschulten Helfer von Hand – Rebe für Rebe und Traube für Traube. Natürlich gibt es Faktoren, die man nicht „in der Hand hat“ – wie zum Beispiel das Wetter, das natürlich einen maßgeblichen Einfluss auf den weiteren Wachstumsverlauf, den Erntezeitpunkt usw. hat.
Übrigens: Sollte man also jetzt zufällig durch einen Weinberg schlendern, so muss man sich nicht schrecken, weil Trauben auf dem Boden liegen. Es handelt sich dabei lediglich um die im Zuge der grünen Pflegemaßnahmen abgeschnittenen Trauben.